Kreuzberger Chronik
Mai 2016 - Ausgabe 179

Open Page

Als ich helfen wollte


linie

von Gabriele Winde

1pixgif
Ich habe mich entschieden, bei der Integration von Flüchtlingen zu helfen. Ich gehe zum Flughafen Tempelhof und finde dort am Hangar 6 eine offene Tür. Die führt mich in einen Computerraum, wo drei Menschen in ihre Bildschirme vertieft sind. Ich hätte an ihnen vorbeilaufen können, es hätte niemand bemerkt.

Ich frage nach dem Zugang zu den Flüchtlingen. Der sei im Hangar 3 am Columbiadamm, mit der U-Bahn eine Station und dann um die Ecke oder mit dem Bus. Zum Glück bin ich mit dem Auto da und fahre also zum Columbiadamm und finde dank sehr genauen Hinsehens ein Türchen im Zaun, das nicht allzuweit vom Hangar 3 entfernt ist. 3 Minuten Fußweg und ich stehe vor einem Pförtnercontainer, bestückt mit drei Wächtern . »Halt ,wohin! Haben sie einen Termin, Verabredung, Einladung?«

»Nee, hab ich nicht. Ich möchte jemanden sprechen, der für die Flüchtlinge zuständig ist.« - »Sie müssen sich übers Internet anmelden.« - »Und wenn man keines hat?« - »Ja, dann ins Internetcafé.« - »Dann hätte ich gerne eine Karte mit der Adresse.« - »Gibt´s nicht. Schreiben Sie Sich auf: tamajagmbh. Da können Sie sich anmelden.«

Zu Hause gehe ich auf die Seite. Nach einigen Irritationen kann ich mich einloggen und komme auf die Seite mit den Einsatzangeboten auf dem Flughafengelände. Ich trage mich für die 3. Schicht in der Kleiderkammer ein, obwohl mir was ganz anderes vorschwebt. Ist aber offensichtlich die einzige Möglichkeit der Kontaktaufnahme. Meine Mail mit der Bitte, Frauen in Deutsch unterrichten zu können, bleibt unbeantwortet. Dann zeigt der PC mir an, dass ich mich nochmals einloggen müsse, mein Benutzername aber schon vergeben sei. Ich bin verwirrt. Bin ich jetzt für die 15:30 -Schicht registriert oder nicht? Ich fahre den PC herunter, entscheide mich, mit dem Fahrrad um 15:30 dort aufzulaufen.

Bei den Wächtern sage ich: »KLEIDERKAMMER AUSGABE!« .

»IM HANGAR 1!« Ich werde unkontrolliert durchgewunken.

Der Hangar 1 ist der letzte auf dem Gelände. Bin froh, dass ich mit dem Rad unterwegs bin, zum Laufen wäre es zu weit gewesen. Am Hangar stehen einige junge Leute vor verschlossener Tür. Es dauert eine ganze Weile, bis jemand uns reinlässt. »KLEIDERKAMMER« . Einige kennen sich offensichtlich schon aus .

Ich bin eine von 15 für die Schicht bis 18:00. Wir verstauen unsere Sachen, so gut es geht. Man kann nichts wegschließen. Hoffe, dass meine persönlichen Dinge hier nicht verloren gehen. Habe den Eindruck, dass alle anderen hier Studenten sind. Könnten meine Enkel sein. Viele sprechen Spanisch oder Englisch. Ich bitte darum, erst mal das Fenster öffnen zu können, denn man kommt schier um vor Hitze und schlechter Luft in dem riesigen Kleiderlager.

Jeder klebt sich ein Namensschild an die Brust. Ich höre aber niemanden, der uns beim Namen nennt. Einer ohne Schild, ich nenne ihn Fritz, ist der Organisator. Man erkennt ihn an einigen Stiften, die er um den Hals trägt. Er verteilt an die 3 Neuen ein Formular von der tamaja GmbH. Denn hier organisiert nicht der Senat die ehrenamtliche Hilfe, hier verdient eine GmbH ihr Geld. Gutes Geld wahrscheinlich, denn alle, auch Hans, arbeiten hier ehrenamtlich.

Auf das Formular kommen meine Daten. Die hätte ich mir auch ausdenken können, denn niemand kontrolliert meinen Ausweis. Aber ganz unten steht, dass ein erweitertes Führungszeugnis einzureichen sei. »DIE SPINNEN DOCH!!!« Das sind wieder unnötige Kosten, Wege, unnötig vergeudete Zeit für mich. Was denken die, wer ich bin? Fritz findet das auch nicht o.k., muss aber die Formulare einsammeln und weitergeben. Als ich ihm sage, was mir eigentlich so an Hilfe vorschwebt, verspricht er, mir zu zeigen, an wen ich mich wenden müsse.

Ich werde für die Ausgabe im Nebenraum bei den Frauenkleidern eingeteilt. Die ersten »Kunden« , fast ausschließlich Frauen, kommen. Sie können kein Wort Deutsch, auch kein Englisch oder Französisch. Ich versuche es mit Piktogrammen. Die Regale sind zum Teil falsch eingeräumt, selten stimmt die Größe, Pyjamas gibt es gar nicht. Wenn etwas wie neu aussieht, wird es eingepackt, ob es passt oder nicht. Aber mit Nachthemden könnten wir einen ganzen Hangar ausstatten!

Bin nur am Hin- und Herflitzen zwischen Ausgabe und Lager. Ich frage, ob sie noch etwas brauchen. Meistens nicken sie. Und noch mal. Und noch einmal, und dann möchte schon die Nächste etwas für sich und das Kind, das sich gerade den Stempel gemopst hat, mit dem wir die Kleiderzettel der Flüchtlinge abstempeln müssen. Das Kind will den Stempel nicht mehr hergeben, Geschrei, Austricksen durch die Mutter, schließlich ein mit der Flasche in den Händen einschlafendes Kind auf dem Ladentisch. Der Stempel ist wieder unser.

Bin verzweifelt, weil ich die vielen Wünsche nicht erfüllen kann. Meine Augen brennen höllisch, meine Beine werden immer schwerer. Eine Helferin, die mir auch noch erklärt, dass sich jede Frau über ein Lächeln freuen würde, muss mir den Schmerz wohl angesehen, ihn aber als Ausdruck schlechter Laune interpretiert haben. Ich würde ihr am liebsten eine saftige Antwort geben. Stattdessen humpele ich in den Nebenraum an den Tisch und lege für einen Augenblick den Fuß hoch. Nützt aber gar nichts. Nach zwei Stunden mache ich endgültig schlapp. Das ist kein Job für mich! Ich bin nie gern Kleidershoppen gegangen. Ich wollte den Fremden unsere Sprache beibringen, und nicht in Klamotten herumwühlen.

Aber die Frau, der ich mein Anliegen vortragen könnte, ist leider nicht mehr im Büro. Ich kann nur meine Mailadresse und meine Telefonnummer hinterlassen. Ich verabschiede mich. Man dankt mir mit warmem Händedruck. Nehme mir noch ein Bonbon. Davon gibt es massenhaft. Wasser oder Tee wären hier nötiger gewesen.

Ich bin froh, dass ich wieder draußen bin. Bin froh, dass mein Fahrrad auf mich wartet. Der Regen macht mir nichts aus. Ich will nur noch weg und frische Luft! Es ist dunkel und nass.

Zu Hause ziehe ich erst mal die Schuhe aus. Aber dann beschließe ich, sie wieder anzuziehen. Ich werde den Tanzkurs nicht ausfallen lassen, egal wie schwer die Beine sind. Ich brauche jetzt noch was Schönes, etwas Aufbauendes!

Bin gespannt, wie lange es dauert, bis sich jemand meldet für die so genannte »PATENSCHAFT« . Werde morgen aber Koffer und Taschen, die ich nicht mehr brauche, zum Hangar bringen, denn das brauchen sie dringendst. Vielleicht geht ihre Reise ja noch weiter.•

»Open Page« ist eine journalistisch-literarische »Open Stage«. Hier ist Platz für Texte von Lesern, die nicht ins Konzept passen, die wir Ihnen aber auch nicht vorenthalten möchten.



zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg